Wer die Bibel aufschlägt, um sie zu lesen, der tut dies aus verschiedensten Gründen:
- Neutrales Lesen
- Konfessionelles Lesen
- Philologisches Lesen
- Philosophisches Lesen
- Theologisches Lesen
- Dogmatisches Lesen
- Besinnliches Lesen
- Studierendes Lesen
- Betendes Lesen
- Christologisches Lesen
Ein neutrales Lesen der Bibel
Ja, das soll es geben, daß jemand versucht die Bibel ganz "neutral" (wie er sagt!) zu lesen. Er denkt, daß er keine Voreingenommenheiten mitbringt und daß er die Texte so lesen will, wie man eine Zeitung liest.
Man kann es bezweifeln, ob dies möglich ist. Aber wenn ja, warum sollte es jemand nicht so versuchen! - Die Bibel ist frei zugänglich, nicht nur auf dem Buchmarkt, auch im Internet. Jeder kann die Texte einsehen, wie man andere Bücher einsieht.
Ob er nach dem Lesen der Texte der Bibel immer noch neutral sein kann, ist abzuwarten, denn die Bibeltexte fordern einen heraus.
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Ein konfessionelles Lesen der Bibel
Darunter verstehe ich, daß jemand die Bibel liest, um seine eigene kirchliche konfessionelle Identität zu finden. Er wird viele Bibeltexte, die ihm entsprechen, gerne lesen. Andere wiederum, die anscheinend gegen seinen konfessionellen Ausgangspunkt sprechen, wird er vielleicht überspringen oder gar meiden.
Ich schreibe dies vor allem im Blick auf Protestanten. Es soll ja solche geben, die grundsätzlich von ihrer konfessionellen Bindung gegen den Jakobusbrief eingenommen sind.
Vielleicht ist es gut, daß evangelische Christen einmal ganz bewußt Jakobus lesen und sich von seinen Aussagen herausfordern lassen.
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Ein philologisches Lesen der Bibel
Ja, auch das ist möglich, daß ich aus philologischem Interesse die Bibel lese. Das kann zum Beispiel bei jemand vorliegen, der sich in den alten Sprachen gut auskennt. Wer die Griechische Sprache erlernt hat, der liest dann gerne im Neuen Testament, z.B. das Johannesevangelium. Es ist in einfachem Griechisch geschrieben und es ist ein Genuß im Urtext zu lesen.
Viele von uns kennen das, wenn sie einmal in der Schule soweit waren ein französisches oder englisches Werk zu lesen.
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Ein philosophisches Lesen der Bibel
Philosophisches Lesen nenne ich das Lesen, mit dem Ziel, für die eigene philosophische Ausrichtung Texte zu finden. So hätte Marx (vielleicht hat er es auch!) in manchen Texten der Evangelien (z.B. am Anfang der Jerusalemer Gemeinde) viel Argumentatives für seine Lehre finden können.
Aber es gibt nicht nur politisch philosophisch ausgerichtetes Lesen, auch ethisches.
Oft holt man sich dann nur die Bibelsprüche, die in das eigene philosophisches System passen: z.B. Friedensdienste werden nur die Sprüche gegen den Krieg herauslesen; die Berichte über Kriege jedoch als babarisch und überholt ablehnen.
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Ein theologisches Lesen der Bibel
Daß Theologen (egal welcher Konfession) sich natürlich um ein theologisches Lesen (und Arbeiten!) bemühen, liegt auf der Hand.
So sind im Laufe der Jahrhunderte eine Unmenge von biblischen Kommentaren entstanden - auch von Leuten, die vielleicht gar nicht bewußt in einer kirchlichen Bindung standen.
Beim theologischen Lesen ist jeder "Punkt und jedes Komma" wichtig. Im Laufe der Theologiegeschichte wurden dafür auch aufwendige "Apparate" entwickelt (z.B. im Nestle griechischen Neuen Testament).
Die Theologie ist eine Disziplin an einer Universität oder kirchlichen Hochschule. Für die meisten Kirchen jedoch genügt dies nicht, um jemand als Pfarrer (Verkündiger des biblischen Zeugnisses) anzustellen. Man weiß: Das Wissen allein genügt nicht! So werden angehende Pfarrer in ihrem Verständnis der Bibel durch kirchliche Begleitung auf ihren Dienst vorbereitet.
Ein gewisses theologisches Vorverständnis beim Bibellesen aber hat jeder, wenn er vielleicht auch dieses nicht in formulierten Sätzen ausdrücken kann.
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Ein dogmatisches Lesen der Bibel
Das dogmatische Lesen hat zum Ziel, Informationen zum jeweiligen dogmatischen Verständnis zu finden. So wird jemand ganz bewußt nach Texten über die Maria oder Apostel Ausschau halten, um ihre Stellung in der katholischen Dogmatik zu unterstützen. So ist es z.B. bei Petrus und seiner herausragenden Stellung im Katholizismus. Protestanten dagegen werden Paulus hervorheben. Andere vielleicht Johannes und seine Aussagen über die Liebe.
Die biblischen Texte enthalten viel "Dogmatisches", vor allem, wenn es um die Einmaligkeit Gottes geht (Jahwe ist der einzige wahre und lebendige Gott!) - oder wenn es um die Bedeutung Jesu geht (Er ist der einzige Heiland!).
Und doch ist die Bibel zunächst kein Dogmatikbuch; die entsprechende Dogmatik wird sich jedoch aus dem biblischen Zeugnis heraus entwickeln.
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Ein besinnliches Lesen der Bibel
Das besinnliche Lesen der Bibel ist sehr verbreitet, vor allem beim Kirchenvolk. Und wahrscheinlich haben die meisten von uns, die sich für die Bibel interessieren, so angefangen. Man liest die Bibel und läßt sich auf ihr Zeugnis ein, um so Kraft für den eigenen Glauben zu finden oder Trost in einer besonderen schweren Situation.
Die "Stille Zeit" eignet sich besonders zum besinnlichen Lesen. Aber auch das Lesen der Losung ist so ein besinnliches Lesen.
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Ein studierendes Lesen der Bibel
Wer die Bibel einmal studieren will, der hat sich viel vorgenommen. Und er wird seine Bibel intensiv lesen und sich wahrscheinlich Anmerkungen machen, Querverweise aufschlagen, am Rand Symbole setzen und wahrscheinlich auch Lieteratur zur Hilfe nehmen.
Die Stuttgarter Bibel erklärt bietet viele Anmerkungen und Hinweise zum studierenden Lesen. Ich kann sie nur empfehlen.
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Ein betendes Lesen der Bibel
Das betende Lesen der Bibel findet im persönlichen Umfeld statt, aber auch in der Schriftlesung im Gottesdienst. Es soll eine Frau gegeben haben, die in ihrer Armut die Kerze nach jedem Bibelvers ausblies und lange darüber nachdachte.
Betend die Bibel lesen zeigt auch, daß man sich nicht auf seinen eigenen Verstand verlassen will, sondern mit der Gegenwart des Geistes Gottes rechnet, der in alle Wahrheit führt.
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Ein christologisches Lesen der Bibel
Darunter verstehe ich das Anliegen, im Lesen der Bibel Jesus Christus zu finden, ihn zu hören, seinen Fußstapfen nachzufolgen, um das ewige Leben zu erhalten.
Ausgangspunkt ist das Zeugnis des Evangelisten Lukas (Kap.24,25-27):
"Und er (Jesus) sprach zu ihnen: O ihr Toren, zu trägen Herzens, all dem zu glauben, was die Propheten geredet haben!
Mußte nicht Christus dies erleiden und in seine Herrlichkeit eingehen?
Und er fing an bei Mose und allen Propheten und legte ihnen aus, was in der ganzen Schrift von ihm gesagt war."
Christologisches Lesen macht Ernst mit der Entdeckung der Reformatoren, daß Jesus die Mitte der ganzen Heiligen Schrift ist.
Diese "Lesart" macht aber auch frei von allem falschen Verständnis der Bibel. Sie wird sich nicht an dem "Kleid" aufhalten, sondern vordringen zu dem, der in diesem Kleid "Fleisch geworden" ist, so daß wir ihn sehen und hören können.
Diese Art des Bibellesens bleibt auch demütig: Sie weiß, daß es letztlich nicht mein Verstand und meine Hilfsmittel es sind, die mir die Schrift aufschließen, sondern Jesu Geist. Er ist verheißen allen, die ernsthaft um ihn bitten, wenn sie die Bibel aufschlagen.
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